Selzthal: Eisenbahnknoten zwischen dem Enns- und Paltental

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Mit einer Fläche von nicht einmal 17 Quadratkilometern ist Selzthal die kleinste Gemeinde des Bezirks Liezen. Zum Vergleich: Die Nachbargemeinde Admont – mit rund 300 Quadratkilometern die größte des Bezirks – ist beinahe achtzehnmal so groß. In den drei Ortschaften Neulassing, Selzthal und Versbichl leben insgesamt knapp 1.600 Einwohner. Gernot Hejlik (SPÖ) lenkt als Bürgermeister die Geschicke der Eisenbahnergemeinde. Zwar ist davon auszugehen, dass auf dem heutigen Gemeindegebiet auch in ur- und frühgeschichtlicher Zeit menschliches Leben existierte, Funde, die dies auch tatsächlich belegen, gibt es jedoch nicht.

Auf dem Gebiet der unweit östlich von Liezen gelegenen Gemeinde treffen nicht nur zwei Täler, sondern auch Zugstrecken aus allen vier Himmelsrichtungen aufeinander. Weil jedoch die Bedeutung als Bahnknotenpunkt schwindet, will sich Selzthal künftig als Wohnsitzgemeinde positionieren.

Ab dem 6. Jahrhundert besiedelten Slawen die Steiermark und das Toponym Selzthal, das sich wahrscheinlich aus dem Slawischen, von sedlo „Sattel“ oder sedlce „Siedlung“, herleitet, lässt diese auch im Raum der heutigen Gemeinde vermuten. Ab dem 8. Jahrhundert wurde die slawische Bevölkerung durch bairische Siedler assimiliert. Aufgrund ihrer Unwirtlichkeit dür_ e die Gegend um Selzthal im Frühmittelalter aber nur sehr dünn besiedelt gewesen sein. Die Urbarmachung und tatsächliche Besiedelung erfolgte wohl erst durch das 1074 gegründete Benediktinerkloster Admont, in dessen Stiftsbrief sich um 1100 auch die erste urkundliche Nennung des Orts findet. Das Verzeichnis listet unter den zahlreichen admontischen Gütern auch den forestem de Ediltscach, den „Forst (bewirtschafteten Wald) von Ediltscach (Selzthal)“. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts war die Besiedelung von Selzthal weitgehend abgeschlossen. Konflikte wie der Aufstand der steirischen Adeligen 1292 gegen die Habsburger und andere Ereignisse berührten den abgeschiedenen Raum wohl nur am Rande. Deutlich involvierter dürften die Selzthaler in die obersteirischen Bauernkriege von 1525 gewesen sein.

Die Nähe zu Burg Strechau und Schloss Grünbühel bei Rottenmann, zwei Zentren des Protestantismus, legt die Vermutung nahe, dass sie auch mit den Lehren Martin Luthers in Kontakt kamen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichte die Trockenlegung des sumpfigen Talbodens durch die Regulierung der Enns den Bahnbau. Bis Sommer 1872 wurde in Selzthal eine erste Bahnstation errichtet, noch im selben Jahr damp_ en die ersten Züge durch den Ort. 1875 wurde die Bahnstation mit dem Bau des Aufnahmegebäudes fertiggestellt. Mit dem Bahnbau einher geht auch die Entwicklung Selzthals zu seinem heutigen Erscheinungsbild. Seinen Status als Eisenbahnknoten erlangte Selzthal mit der Vollendung der Pyhrnbahn. Bald genügte der alte Bahnhof den gesteigerten Anforderungen nicht mehr und so wurde zwischen 1910 und 1912 der heutige, 538 Meter lange Inselbahnhof – ein seltener Bahnhofstyp, bei denen sich die Gebäude in Insellage zwischen den Gleisen befinden – errichtet.

Durch die vielen Bahnbediensteten stieg die Bevölkerungszahl ab den 1870ern sprungha_ an. Speziell im Ersten Weltkrieg war der Bahnhof Selzthal von logistischer Bedeutung, im Zweiten Weltkrieg rücke er ab Jahresbeginn 1945 ins Visier der alliierten Bomberflotten. Auch der Ort und seine Bewohner wurden in Mitleidenschaft gezogen. Nach Kriegsende erreichte die Verkehrsleistung bald wieder das Ausmaß der Zeit vor 1938, die Einwohnerzahl von Selzthal stieg bis 1961 auf den Höchststand von 2.681 Einwohnern. 1959 begann mit der Elektrifizierung auf der Strecke Bischofshofen – Selzthal ein neues Zeitalter, mit der durchgehenden Umstellung von Dampf- auf Elektrobetrieb zwischen Linz und Selzthal 1977 sollte die Ära der Dampflokomotiven für Selzthal endgültig vorbei sein. Damit war leider auch der Verlust zahlreicher Arbeitsplätze verbunden, was die Bevölkerungszahl von Selzthal wieder schrumpfen ließ. Da die Gemeinde bis 1903 den Namen Versbichl trug, ist Selzthal eine relativ junge Gemeinde. Noch jünger ist das Wappen, das erst vor 15 Jahren im Zuge des 100-Jahr-Jubiläums verliehen wurde. Es zeigt für Selzthal ein Flugrad als Symbol für Verkehr und Eisenbahn, außerdem die Raute aus dem Admonter Stiftswappen, die auf die mittelalterliche Besiedelung und die daraus entstandene Gemeinde Versbichl verweist. Das Herz Jesu in der Raute ist ein Hinweis auf die Pfarrkirche, der Spaten nimmt Bezug auf Neulassing, wo einst Torf gestochen wurde. Die Bahn ist für den Ort nach wie vor von großer Bedeutung, auch wenn sie heute längst nicht mehr so viele Menschen beschäft igt wie einst. Rund 350 Dienstposten gebe es derzeit noch in Selzthal, berichtet Bürgermeister Gernot Hejlik, der selbst ÖBB-Bediensteter ist, darunter rund 55 Selzthaler, wie eine Erhebung aus dem Jahr 2013 gezeigt hat. Insgesamt seien aber deutlich mehr Gemeindebürger bei den ÖBB beschäftigt, aber nicht alle in Selzthal.

Ob der Bahnhof vom geplanten Ausbau der Pyhrn-Schober- Strecke, die so zu einer Hauptroute im internationalen Güterverkehr und letztendlich Teil des TEN-Kernnetzes der EU werden soll, profitieren werde, sei laut Hejlik schwer zu sagen. Mehr Güterverkehr könnte natürlich auch für Selzthal mehr Dienstposten bedeuten, aber das seien Entscheidungen, die in Wien getroffen werden. „Die Infrastruktur ist ja vorhanden. Es ist 2001 alles saniert worden. Von dem her sind wir am modernsten Stand“, so der Bürgermeister. Als sozusagen zweites Standbein möchte sich Selzthal derweil als Wohnsitzgemeinde positionieren. „Wir haben keine Durchzugsstraße, es ist ruhig“, macht Hejlik Werbung. Außerdem seien die Nähe zu Liezen und Rottenmann und die günstigen Quadratmeterpreise überzeugende Argumente. Der Wohnbau bzw. die Sanierung bestehender Objekte sei eines der großen zukünft igen Vorhaben, aber man müsse sich erst noch mit den ÖBB und der EBS Wohngesellschaft , denen viele Grundstück bzw. Häuser in Selzthal gehören, einig werden. Für wenig zukunfsträchtig hält Hejlik den heuer im Sommergespräch mit der Kleinen Zeitung geäußerten Vorschlag des gebürtigen Selzthalers und aktuellen Finanzministers Hartwig Löger, dass man doch das touristische Potenzial des Orts nutzen solle.

Dafür sei die touristische Infrastruktur einfach zu wenig ausgeprägt, bis Mitte Oktober habe man ja nicht einmal mehr ein Gasthaus in Selzthal gehabt. „Ja, soweit möglich, aber großen Tourismus werden wir nicht schaffen. Wir wollen uns mit dem Paltental eher Richtung Bildungsregion hinorientieren“, so der Bürgermeister. Gästescharen wird die Eisenbahnergemeinde also auch in Zukunft nicht erleben, v. a. weil auch 2019 der vom ARBÖ Selzthal veranstaltete Radmarathon höchstwahrscheinlich nicht stattfinden wird, wie Hejlik zu berichten weiß. Nach 37 Jahren wurde der älteste Radmarathon Österreichs, der jedes Jahr über 300 Teilnehmer anlockte, heuer aufgrund nicht zu erfüllender behördlicher Auflagen erstmals nicht abgehalten. „Es fährt ja nirgends mehr wer, das Risiko will niemand als Privatperson tragen“, hat das Gemeindeoberhaupt Verständnis. Alle Veranstalter würden auf den Ausgang des Prozesses in Kärnten warten. 2016 kam bei einem Radmarathon in Bad Kleinkirchheim ein Teilnehmer zu Sturz und ist seither querschnittsgelähmt.

Nun wird vor Gericht entschieden, wer die Verantwortung dafür trägt. Das noch ausstehende Urteil könnte existenzbedrohende Folgen für den Veranstalter haben. Fix vorgesehen für 2019 ist die Neuerrichtung des Mehrzwecksaals. Baubeginn ist am 1. April, die Fertigstellung erfolgt im Idealfall noch vor Schulbeginn, die Kosten sind mit 2,5 Millionen Euro veranschlagt. Anstelle des jetzigen Turnsaals der Volksschule kommt ein Pausenhof, der neue Saal wird im rechten Winkel angebaut. Das mit einem Buff et für Catering ausgestattete Foyer soll auch privat für Feiern zu mieten sein.

Fotos: Karl, Gemeinde Selzthal

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