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„Die Medizin war Berufung für mich“

Mit dem Pensionsantritt von Dr. Gerlinde Lindner, Fachärztin für Innere Medizin, verliert der Bezirk Liezen eine Ärztin vom alten Schlag – engagiert, menschlich und voller Idealismus. Schon früh war für sie klar, dass sie Ärztin werden wollte.

„Die Medizin war Berufung für mich“ Foto: KK

Mit 14 Jahren verlor ich meinen Vater aufgrund einer Krebserkrankung. Schon damals erwachte in mir der Wunsch, Ärztin zu werden“, erinnert sich Gerlinde Lindner. Doch der Weg dorthin war keineswegs einfach. Die finanziellen Mittel waren knapp, ihre Mutter hätte es lieber gesehen, dass die Tochter rasch einen Beruf erlernt. Doch die junge Gerlinde setzte sich durch: Nach der Hauptschule besuchte sie das Oberstufen-Real-Gymnasium in Eisenerz und maturierte dort 1978. Der Traum vom Medizinstudium blieb, und dank eines zugesagten Stipendiums konnte sie in Graz Medizin studieren.

Während des Studiums wurde ihre Tochter geboren – eine große Herausforderung, die sie mit viel Disziplin meisterte. „Es war nicht immer einfach, aber zwei Jahre später promovierte ich zur Doktorin der Medizin.“ Da es zunächst keine Ausbildungsstelle im Krankenhaus gab, arbeitete sie vorübergehend bei Dr. Reibmayer in Weißenbach an der Enns, die ihr zu einem wichtigen Vorbild wurde. 1987 folgte schließlich die ersehnte Turnusausbildung im LKH Rottenmann, später die Spezialisierung zur Fachärztin für Innere Medizin. 2003 übernahm Lindner die Stelle als niedergelassene Internistin in Bad Aussee – eine Aufgabe, die sie 23 Jahre mit Herzblut erfüllte.

Im Gespräch mit dem LBN-Magazin blickt sie auf ihr Berufsleben zurück.

Frau Dr. Lindner, wie haben Sie die Balance zwischen Privatleben und Beruf gelebt?
Diese Balance habe ich nicht gefunden. Rückblickend habe ich mein Leben der Medizin gegeben und dadurch anderes vernachlässigt. Der Alltag war fordernd – zwischen medizinischem Fortschritt, Patientenbetreuung und Bürokratie war volles Engagement notwendig. Oft war ich Tag und Nacht in der Praxis. Am meisten Freude hat mir der Kontakt mit den Patienten bereitet. Ich war nicht nur Ärztin, sondern auch Vertrauensperson – es ging oft um persönliche Sorgen, nicht nur um medizinische Fragen. Manchmal ist ein Gespräch eben wichtiger als eine Untersuchung.

Wie hat sich der Arztberuf im Laufe der Jahre verändert?
Früher stand der Patient im Mittelpunkt, heute dominiert die Bürokratie. Dokumentation ist das Um und Auf, wodurch der Mensch dahinter manchmal zu kurz kommt. Die Krankenkassenleistungen sind begrenzt – als gewissenhafte Ärztin habe ich oft Untersuchungen gemacht, ohne dafür bezahlt zu werden. Idealismus gehört einfach dazu. Gleichzeitig sind die Erwartungen der Patienten gestiegen. Das macht die Arbeit nicht leichter.

Was sagen Sie zum Thema Ärztemangel am Land?
Der Beruf scheint für viele zu wenig lukrativ zu sein. In den Städten ist das Problem nicht so groß, aber am Land schon. Heute wünschen sich viele einen hohen Verdienst und gleichzeitig viel Freizeit – das passt mit den Anforderungen des Arztberufs nicht immer zusammen.

Technische Innovationen prägen die Medizin – wie sehen Sie das?
Die Möglichkeiten sind enorm gestiegen. Roboterassistierte Operationen sind längst Realität, und ich glaube, die Entwicklung kennt nach oben keine Grenzen. Aber es gibt auch Schattenseiten: Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Gespräche mit Patienten einmal durch KI ersetzt werden sollen. Doch gerade im persönlichen Gespräch liegt oft der Schlüssel zur Heilung. Dr. Google ist jedenfalls ein schlechter Berater – vor allem für Menschen, die zu Hypochondrie neigen.

Was waren Ihre größten Herausforderungen?
Sehr belastend waren oft die Diskussionen mit Chefärzten über Medikamente, die abgelehnt wurden, obwohl ich sie für wichtig hielt. Das hat viel Kraft gekostet.

Welchen Rat würden Sie jungen Ärztinnen und Ärzten geben?
Die Menschlichkeit nicht vergessen – und sich Zeit für das Gespräch mit den Patienten nehmen.

Wie stehen Sie zum Thema Leitspital?
Am liebsten wäre es mir, wenn alle drei Krankenhäuser erhalten blieben – mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Genesung hängt nicht von Fallzahlen ab, sondern von der Menschlichkeit und Gewissenhaftigkeit des Personals. Den Plan, das LKH Bad Aussee in eine Geriatrie umzuwandeln, halte ich für falsch. Die Transportwege nach Rottenmann wären viel zu lang. Wenn nicht alle Häuser bestehen bleiben können, erscheint mir ein Neubau in Stainach als bestmögliche Lösung – allerdings nur mit Notarztstandorten und Facharztzentren in den bestehenden Häusern.

Wenn Sie heute zurückblicken – würden Sie denselben Weg wieder gehen?
Ja, unbedingt. Ich bin dankbar, dass mein Beruf für mich immer eine echte Berufung war. Ich konnte meinen Traum leben, und das erfüllt mich mit Freude.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft – persönlich wie auch für die Fortführung Ihrer Praxis?
Mein größter Wunsch ist Gesundheit – denn sie ist das höchste Gut. Alles andere findet sich. Ich freue mich auf den goldenen Herbst meines Lebens. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Besonders dankbar bin ich dafür, dass ich großes Glück mit meiner Nachfolge habe. Dr. Roland Fitz hat mich in den letzten drei Jahren tatkräftig unterstützt und wird mein Lebenswerk ab 1. Oktober mit großem Engagement und Gewissenhaftigkeit weiterführen. ◻

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