Ein Weltrekord namens Triple Seven Summits
Der Admonter Christian Stangl hat mit seinem „Triple Seven Summits“-Projekt als erster Mensch erfolgreich die jeweils drei höchsten Berge auf allen sieben Kontinenten der Welt bestiegen, darunter der Mount Everest und der K2. Die Besteigungen der höchsten Berge (8.000m+) hat er ausnahmslos ohne Flaschensauerstoff durchgeführt. Alle 21 Weltberge der „TRIPLE SEVEN SUMMITS“-Challenge wurden bis heute von keinem anderen Bergsteiger wiederholt.

Christian Stangl am 31. Juli 2012 ohne Flaschensauerstoff am Gipfel des K2 – als erster und bislang auch einziger Steirer.Christian Stangl sitzt nicht gern still. Nicht in Landl, wo er geboren wurde, nicht in Libyen, wo er ein Technikerbüro leitete, und erst recht nicht an den höchsten Bergen dieser Welt. Der junge Chri bemerkte früh, dass sein Körper zu außergewöhnlichen Leistungen fähig ist. Mit 14 Jahren zog er vom Elternhaus alleine los und wanderte einfach sieben Tage in eine Richtung. Dabei überschritt er im Alleingang das Gesäuse, die Niederen Tauern und das Dachsteinmassiv. Vier Jahre später wurden die Wege schon weitläufiger: Mit einem alten Puch-10-Gang-Rad machte er sich erneut von zu Hause auf den Weg, fuhr durch die Alpenländer, bestieg Matterhorn, Mont Blanc und Eiger, überschritt das Piz Palü-Massiv, nahm den Gipfel des Ortlers in Südtirol noch schnell mit und radelte zurück ins Gesäuse. Dauer: 28 Tage
Im rasanten Tempo bergauf
Nach 15 Jahren als Elektrotechniker – zuletzt als Leiter eines technischen Büros in Libyen – war es Zeit für etwas Neues. „Ich wollte die Welt sehen.“ Und wenn Christian „Welt“ sagt, meint er Berge. Gipfel. Himmel – und zwar auf allen sieben Kontinenten. Im Jahr 2001 stellte er die Weichen neu und hing seinen geregelten Job kurzerhand an den Nagel. Die sportlichen Ziele liefen in den folgenden Jahren fließend ineinander. Insbesondere Speed- und Solo-Besteigungen wurden zuerst das Markenzeichen des Ausnahmeathleten. „Irgendwann schlich sich die Idee ein, einen hohen Berg zu belaufen.“ Mit dem Lauf auf den 6.956 m
hohen Aconcagua, den höchsten Berg von Südamerika setzte Stangl schließlich den Grundstein für seine „Skyrunner“-Karriere. Das wiederum war der Grundstein zum „Seven Summits Speed“-Projekt – also die jeweils höchsten Berge aller sieben Kontinent in Rekordzeit zu belaufen, woraus schlussendlich die Idee geboren wurde, die jeweils drei höchsten Berge auf allen 7 Kontinenten zu besteigen, die „Triple Seven Summits“. Am 25. Mai 2006 stand Stangl nach anstrengenden 16 Stunden und 42 Minuten am Gipfel des Mt. Everest (8.848 m). „Als ich den Everest bestieg, ging es mir einzig und allein darum, die 2.348 Höhenmeter vom Basislager (6.500 m) zum Gipfel möglichst schnell zu überwinden.“ Weitere beeindruckende Zeiten: Kilimanjaro 5.895 m - Afrika: 5 h 36 min, Elbrus 5.642 m – höchster Berg im Kaukasus: 5 h 18 min, Mt. Vinson 4.897 m – Antarktis: 9h 10 min
Vom Fallen und Aufstehen
Am Mt. Tyree 4.852 m, dem zweithöchsten Berg der AntarktisEine Geschichte wie ein Schatten, den man nicht loswird. Im Sommer 2010 erklärte Stangl den Gipfel des K2 erreicht zu haben, den schwierigsten aller Achttausender. Das Foto, das er präsentierte, zeigte ihn in Wirklichkeit jedoch unterhalb des Gipfels. Zuvor schon zweimal am K2 gescheitert, erklärte Stangl später, dass er panische Angst gehabt hatte, am Berg zu sterben und den K2 einfach nur abhaken wollte. Die K2-Geschichte war ein schwerer Rückschlag für Stangl, sowohl persönlich als auch reputationsmäßig. Sie zeigt, wie dünn im Extrembergsteigen die Grenze zwischen Leistung, Selbstdarstellung und Überforderung sein kann. „Es war der tiefste Punkt meines Lebens.“ Doch er blieb nicht dort. Zwei Jahre später bestieg er den K2 dann tatsächlich, allein, ohne Flaschensauerstoff, um 16:30 Uhr am Gipfel. 2013 vollbrachte er schließlich ein Kunststück, das härter, höher, ehrlicher war als jede Einzelbesteigung: die „Triple Seven Summits“ – die drei höchsten Berge jedes Kontinents. 21 Gipfel, dokumentiert, überprüft, Guinness-gekrönt. Und bis heute hat kein anderer Mensch diese Leistung wiederholt. Aus dem Fehltritt am K2 wuchs ein Mann, der gelernt hat, dass wahre Größe nicht nur im Aufstieg liegt, sondern auch im Aufstehen.
Ein Leben nach den Rekorden
Heute lebt Stangl in Admont, im Schatten des Gesäuses, das einst seine Jugendabenteuer prägte, arbeitet er als Bergführer, hält Vorträge, erzählt von der Kraft, die in der Obsession steckt, aber auch vom Loslassen. „Hinnehmen wie es ist“, sagt er schmunzelnd über das Älterwerden. Mit 39 war er auf dem Höhepunkt. Mit 47 spürte er die Grenzen - damals war auch seine Tochter geboren. „Ein Wendepunkt, denn seither lebe ich vorsichtiger.“ Stangl weiß, dass die Tage der 18-Stunden-Achttausender vorbei sind. Dafür sind andere Abenteuer geblieben: Erstbegehungen in den Anden, einsame Ritte mit den Gauchos durch unbewohnte Täler, Wochen allein in unbekannten Bergen.
Begegnungen, die prägen
Im Dschungel West-Papuas zum Berg „Puncak Mandala“, dritthöchster Gipfel des KontinentsDas Reisen war für ihn nie nur der Weg zum Gipfel. Er hat den Staatsbankrott in Argentinien miterlebt, die Hyperinflation in Venezuela, die Härte des kommunistischen Nordkoreas gesehen und die Fremdheit patriarchaler Gesellschaften. Er hat in West-Papua im Regenwald einer Gruppe indigener Thuggas gegenübergestanden, beide Seiten erschrocken. Er reichte Brot, sie sangen kanonartige Gesänge. Eine Begegnung, unheimlich und unvergesslich. In der Antarktis, seinem Lieblingskontinent, war er meist allein. Drei Gipfel, zwei solo, einer zu dritt. Absolute Stille, absolute Reinheit und „Absolut schützenswert“, sagt er. Als Bergführer im Gesäuse ärgert er sich manchmal, dass Wertschätzung für Natur oft fehlt. Er liebt die Idee von Zonen, die wieder ganz sich selbst überlassen sind: „Ein Spiegel der Welt ohne uns.“
Was bleibt
Am Ende bleibt das Bild eines Mannes, der aufsteht, wenn er gefallen ist. Der im Gesäuse dieselbe Ehrfurcht spürt wie am Everest. Der weiß, dass ein Gipfel nur einen Atemzug lang dauert, aber der Weg dorthin das ganze Leben füllt. Stangl ist kein Held, keiner der Unantastbaren. Er ist verletzlich, zweifelnd, manchmal fehlbar – und genau das macht ihn groß. Wer ihn trifft spürt, dass er dort angekommen ist, wo kein Rekord mehr zählt: bei sich selbst. ◻
Fotos: Christian Stangl