Gestern hots grengt
Seit 15 Jahren zieht es Christoph Huber im Sommer als Almhalter hinauf auf die entlegene Königreichalm am Dachsteinplateau. Gerne versinkt er dort in den alten Hüttenbucheinträgen von Menschen, die auf unterschiedlichste Weise in den letzten 70 Jahren mit der Alm in Berührung kamen und sich darin verewigt haben. Daraus entstand die Idee zu einem Zusammenspiel von Texten, Bildern, Musik und Tonaufnahmen. Am 11. Oktober wurde sein Projekt „Gestern hots grengt“ mit dem Volkskulturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet.
Christoph Huber erhielt am 11. Oktober den Volkskulturpreis des Landes Steiermark für sein Projekt „Gestern hots grengt“. Christoph Huber ist keiner, der die Dinge akribisch plant. Er beschreibt sich als kultureller Schrottsammler, der Dinge aufliest, etwas Eigenes hinzufügt und daraus Neues entstehen lässt. „Es entwickelt sich immer etwas“, sagt der Fotograf aus St. Martin am Grimming bescheiden. Dass er nun für sein bebildertes Hörspiel, das 2024 im Rahmen von „Signal am Dachstein“ im Schloss Trautenfels seine Uraufführung fand, den Volkskulturpreis des Landes Steiermark erhielt, damit hat selbst er nicht gerechnet. Die für das Hörspiel komponierte Musik von Klaus Meissnitzer (Künstlername: Klaus Maria) zieht sich durch das Hörspiel wie Wind durch die Latschen. Sie macht sichtbar, was man nicht sieht, verschmilzt mit den Bildern und Stimmen zu einer berührenden Geschichte über das Leben und Sterben auf der Alm. Über die Zusammenarbeit mit Meissnitzer erzählt der ursprünglich gelernte Buchdrucker und später diplomierte Fachsozialbetreuer: „Ich bin schon lange ein Fan von seinen verschiedensten Bandprojekten wie 'Amanda' oder 'Stiller' und fragte ihn, ob er ein Lied für mein Hörspiel singen würde. Aber er meinte, instrumentale Stücke würden womöglich besser passen. Und er hatte recht. Seine Musik bringt genau jene Stimmungen zum Ausdruck, die ich mit dieser Gegend verbinde.“
„3. September: Nichts behält seine Form“
Christoph Huber könnte es nicht besser ausdrücken. „Der ganze Almsommer ist ein kontinuierlicher Veränderungsprozess“, erzählt er vom Leben auf der Königreichalm, die 10 km von der nächsten Forststraße entfernt liegt. Kein Empfang, kein Strom, wenig Wasser und raues Wetter. Dafür ein Königreich aus Wind, Stein und Geschichten. „Da oben“, sagt Huber, „spürt man, dass nichts von Bestand ist.“ Die Alm sei keine Flucht, sondern das Gegenteil: „Manche glauben, auf die Alm zu gehen ist eine Form von Ausstieg. Für mich ist es viel mehr ein Einsteigen ins wahre Leben.“ Die Tage sind strukturiert, den Rhythmus gibt die Rinderherde vor: Vieh suchen, verlorene Glocken finden, Verletzungen versorgen. Früher blieb er mit seiner Freundin öfters den ganzen Almsommer oben, seit der Geburt der ersten Tochter sind es drei bis vier Wochen. „Den Kindern taugt das voll“, sagt er freudig und lacht, wenn er erzählt, was die Kids nach vier Wochen Dauerregen bei der Rückkehr ins Tal meinten: „Oba nächsten Summa geh ma eh wieder auffi?“
„Juche im Kinigreich“
Der Almsommer beginnt mit mehreren Versorgungsgängen. Regelmäßig wird die Familie auf der Alm auch von vorbeischauenden Freunden und Verwandten versorgt. Holz gibt’s genug, das Almrecht erlaubt es. Auch die Schriftsteller Bodo Hell und Peter Gruber verbrachten ihre Sommer auf den Nachbaralmen. Peter Gruber ist Hirte der Wiesalm, die auf dem Weg zur Königreichalm liegt. Bodo Hell war auf der angrenzenden Grafenbergalm. Im Sommer 2024 verschwand er 81-jährig spurlos, irgendwo da oben, wo die Grenzen zwischen Erde und Himmel dünn werden.
„Letz', låb und staad foahrt da Summer o“
Eine besondere Geschichte ergab sich zu den Einträgen von Helga Strasser, Halterin auf der Königreichalm in den 60er-Jahren. Ihre Worte waren Christoph Huber sofort sympathisch. Die 90-jährige Johanna Bretterebner aus St. Martin am Grimming lieh ihr im Hörspiel ihre Stimme. Nach der Premiere kommt eine Frau aus dem Publikum auf Huber zu, die berichtet, Helga Strasser persönlich zu kennen. Tatsächlich erscheint die echte Helga Strasser dann zur zweiten Aufführung im Kino Gröbming. Gemeinsam mit Johanna Bretterebner holt Huber sie auf die Bühne. „Die echte Helga Strasser kennenzulernen, war ein echtes Highlight für mich“, erzählt er bewegt von diesem Moment.
„Kasamandl, Tatzelwurm, Hobagoaß und Teiflsgruam“
So bunt wie die Hüttenbucheinträge ist auch Hubers Verständnis von Volkskultur. Seit dem Preis denkt er darüber nach, was das eigentlich heißt – „Volkskultur“: „Oft wird dieser Begriff politisch instrumentalisiert, um Menschen auszugrenzen“, sagt er. „Für mich bedeutet Volkskultur Vielfalt, Buntheit, Dialog und Begegnung auf Augenhöhe. Volkskultur schließt niemanden aus. Volkskultur ist für alle da!“ Mit „Gestern hots grengt“ macht Christoph Huber genau das spürbar. Ein wunderbares Stück gelebte Volkskultur, die nicht ins Museum gehört, sondern unter die Leut‘, in den Regen, auf die Alm, dort wo die Ideen wie Wasser vom Hüttendach tropfen.
„Gestern hots grengt und heint rengts a, morgen rengts scho wieder
und übermorgen a.“
Kommende Aufführungen:
09. November:
Filmfestival Radstadt
13. November:
Bergfilmfestival Salzburg
Fotos: Christoph Huber
