In der Welt von Josh – Von den Höhen und Tiefen der Reliefkunst
Wer das Atelier von Sepp Schiestl betritt, taucht in eine Welt ein, in der Zementmasse zum Erzähler wird, Schrauben zu Fundamenten der Fantasie und Kunst nicht nur betrachtet, sondern erlebt werden will. Unter dem Künstlernamen Josh erschafft der gebürtige Ennstaler kraftvolle Reliefarbeiten, die weit über bloße Ästhetik hinausgehen.
Josh verbindet handwerkliche Präzision mit schonungsloser Gesellschaftsbeobachtung. Seine Werke hängen nicht still an der Wand – sie sprechen, provozieren, mahnen und inspirieren. Ob in seinem Kunstpavillon in Aigen im Ennstal oder im renommierten Schloss Trautenfels: Die Werke des Künstlers erzählen Geschichten. Von Menschlichkeit und Hochmut, von Natur und Zerstörung, von Hoffnung und Verantwortung.
Die stillen Stunden vor dem Kunstwerk
Mit konzentriertem Blick fixiert Sepp Schiestl kleine Schrauben in eine Holzverbundplatte. Zwei weitere Platten daneben sind bereits in gleicher Weise vorbereitet. Die Schrauben dienen als wichtige Ankerpunkte, an denen sich später die formbare Reliefmasse festhalten wird. Die Basis dieser Masse bildet ein spezieller Zementverbund, dem je nach gewünschter Textur Quarzsand, Ziegelstaub oder grobkörniger Sand beigemischt wird. Danach bleiben gut zwölf Stunden, in denen die Masse noch geschmeidig und perfekt formbar ist – Zeit genug für Schiestl, seinen bereits im Kopf entstandenen Kunstwerken Gestalt zu verleihen.
Im Anschluss stehen verschiedene Behandlungsmethoden zur Verfügung, Spachteln, Schleifen, Colorieren und schlussendlich das Haltbarmachen mit Betonfixierung, farblosem Lack oder Bienenwachs. „Ich bin kein Autodidakt, sondern ein empirischer Erfahrungsarbeiter“, erzählt Sepp lachend. „Bevor ich die perfekte Technik erarbeitet hatte, sind mir wohl ein halbes Dutzend Versuche von der Platte herabgebröselt. Doch mit jedem Misserfolg lernt man dazu.“
Hergestellt in seinem Atelier mit Aussicht auf die Berge („das erfüllt mich mit Inspiration“) präsentieren sich einige dieser derart entstandenen Werke im Ausstellungspavillon in Aigen im Ennstal. „Während meiner Arbeit vergesse ich oft tatsächlich Zeit und Raum, mich packt der viel zitierte Flow.“ Die zwei- oder dreiteiligen Relieftafeln arbeiten mit dem Kontrast von einerseits erdigen, gedeckten Farben und Landschaften und andererseits markanten, leuchtend bunten Elementen.
Wall Street trifft Weltuntergang
Auf einem seiner Werke spuckt der ikonische Wall-Street-Bulle vor der New Yorker Börse leuchtendes Spekulantengold aus – begleitet vom schwarzen Gold Erdöl, das sich mit der blutroten Glut unserer Gegenwart zu einem düsteren Strom vermischt.
So drastisch Schiestl seine Bilder auch beschreibt, so sanft, humorvoll und durchaus spitzbübisch gestaltet er die Führung durch seinen Pavillon und den angrenzenden KunstgARTen, in dem seine Skulpturen wie selbstverständlich mit der Natur verschmelzen.
Besonders stolz ist er auf ein Kunstobjekt, das er als „kleine Bildgeschichte der Menschheit“ bezeichnet. Dieses großformatige Relief wird heuer im renommierten Universalmuseum Joanneum Schloss Trautenfels ausgestellt.
„Evolution“
Ein zeitkritisches Werk, das den unbescheidenen Anspruch erhebt, die Entwicklung des Menschen über die letzten 20.000 Jahre auf einem Bild zu vereinen: von ersten kreativen Gestaltungsversuchen der Höhlenmenschen über die gewaltigen Bauwerke der Antike, den Ehrfurcht gebietenden Sakralbauten am Beispiel Petersdom und die ungeheure Ingenieurleistung beim Bau des Eiffelturmes zu Beginn des Technologiezeitalters.
„Natürlich wollte ich nicht nur schöne Bildchen produzieren, sondern auch die unsäglichen Verirrungen des menschlichen Geistes aufzeigen“, beschreibt Schiestl den Entstehungsprozess. Grenzüberschreitende Gier, hemmungslose Vermehrung des Reichtums, schaurige Verschmutzung der Umwelt. All diese Entwicklungen und die Fassungslosigkeit darüber versucht der charismatische Künstler durch seine Kunst zu kanalisieren.
Auf seinem Bild stellt er auch die Zerstörung der New Yorker Twin Towers dar, für ihn ein „Symbol der perversen Verwendung von Technik als Hilfsmittel für blinden Hass und Fanatismus“. Die Öltanker werden immer größer, ebenso die Gewinne der Gesellschaften. Risiken werden ignoriert. Das herzzerreißende Bild des in der Ölpest qualvoll verendenden Kormorans bleibt als Mahnung …
Durch die Kraft seiner Werke möchte Sepp Schiestl den Betrachter inspirieren, Verantwortung für die Zukunft zu empfinden und zu übernehmen. „Vielleicht darf es durch gemeinsame Anstrengungen gelingen, den am Rande des Abgrunds treibenden Rettungsring vor dem Absturz ins Nichts doch noch zu ergreifen – und damit den gewiss schwierigen Weg in die Zukunft zu meistern.“
Wo Kritisches zur Ruhe findet
Neben all den kritischen Gedanken über so manche Abgründe unserer Welt bleibt dem sympathischen Kunstschaffenden noch ausreichend Platz für wohlwollende Aspekte. Davon zeugt seine Darstellung des „Keilash“, dem heiligsten Berg von Tibet. „Im Buddhismus findet man einige Akzente, mit denen ich sehr viel anfangen kann“, lässt er lächelnd wissen. Achtsamkeit, Gelassenheit, Dankbarkeit. Letztere vor allem für die Fülle an Ideen, die ihm geschenkt wird, sein Talent und die Möglichkeit, seinen Lebensabend auf so kreative Weise zu bereichern. ◻
Text: Mona Dorrer, Fotos: Bildwerkstatt JOSH
