LBN-Talk mit Folke Tegetthoff
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Im Rahmen des Austrian International Storytelling Festivals wird heuer bereits zum 38. Mal die Kunst des Geschichtenerzählens gefeiert – heuer unter dem Motto „Zwischen Tradition und Zukunft: Heldentum neu gedacht“ und von 12. bis 14. Juni auch in Stainach-Pürgg.
Folke Tegetthoff, der dieses Fest der Erzählkunst ins Leben gerufen hat und heute als Begründer einer neuen Erzählkunst gilt, spricht im Interview über seinen Weg, die Kunst, Geschichten zu erzählen und warum Jung und Alt die Welt der Märchen brauchen.
Sie gelten heute als einer der erfolgreichsten Märchendichter unserer Zeit. Was hat Sie vor über 45 Jahren auf diesen „märchenhaften“ Weg geführt?
Meine Intuition! Ich wachte eines Morgens auf – ich war 22 Jahre, hatte die Hälfte meines Medizinstudiums erfolgreich abgeschlossen – und wusste, dass ich einer inneren Stimme folgen muss, die mir sagte, ich müsse mich hier und jetzt auf den Weg machen. Fünf Stunden später stand ich mit einem Koffer am Bahnhof. Mein gesamtes bisheriges Leben zurücklassend. Ausschließlich meiner Intuition vertrauend: Finde dein wahres Glück und deine wahre Bestimmung!
Kann man das Geschichten- und Märchenerzählen lernen?
Manche meinen ja, aber ich hatte es nicht gelernt, sondern einfach eine Tür in mir geöffnet. Und ich hatte den Mut, auf die Bühne zu gehen, ohne jede Vorbildung und Vorbereitung, nur mit dem Wissen: Wenn diese „Kunst“ wirklich in mir ist, wird sie mir meinen Magen füllen. Wenn nicht, bin ich um eine Erfahrung reicher …
Wie kommt man auf die Idee, ein Festival zum Thema Geschichtenerzählen zu initiieren? Was ist der Grundgedanke dahinter?
Ich war 1979, als mein erstes Buch erschien, genauso wie 1988, als das erste Festival stattfand, ein absolutes Novum, als käme ich vom Mond. Ich wollte zeigen, dass es auf der ganzen Welt Erzähler gibt, die das gleiche tun wie ich – nämlich sich auf eine Bühne stellen und ganz einfach eine Geschichte erzählen. Beim ersten Festival tat ich das mit jüdischen Erzählern und Musik.
Warum braucht es die Welt der Geschichtenerzähler und was macht gutes Erzählen aus?
Ich zitiere dazu gern Albert Einstein, von dem man meinen könnte, der bedeutendste Wissenschaftler des 20. Jhd. sei nichts als ein trockener Wissenschaftler: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Und: „Wenn du willst, dass deine Kinder intelligent werden, lies ihnen Märchen vor. Wenn du willst, dass sie noch intelligenter werden, lies ihnen noch mehr Märchen vor.“
Für mich bedeutet Märchen die Möglichkeit, die anderen Dimensionen unserer Wirklichkeit zu erfahren. Und Erzählen ist die schönste und wirkungsvollste Möglichkeit, jemanden zum Zuhören zu bringen.
Wie steht es heutzutage um die Kunst des Zuhörens in unserer Gesellschaft?
Die Unfähigkeit einander zuzuhören hat sich zu einem der größten Probleme unserer Gesellschaft entwickelt – und zwar in jedem Bereich unseres Lebens, vom Privaten bis zum Business und letztlich auch in der großen Weltpolitik. Für mich eine Folge eines immer stärker werdenden Egoismus, in dem jeder nur sich selbst als Mittelpunkt sieht. Denn Zuhören bedeutet, ein Gegenüber wahrzunehmen und dafür sind heute immer weniger Menschen bereit. Immer mehr Menschen meinen, dass ihre Rede, was sie zu sagen haben, so wichtig ist und vergessen dabei, dass ohne jemanden der zuhört, jede Rede völlig umsonst, null und nichtig ist.
Worin besteht die Weisheit des Märchens? Wird den Menschen ein Spiegel vorgehalten?
Das Märchen war (und ist) immer ein Spiegelbild der Seele und somit auch der Gesellschaft. Dadurch, dass es mit ihm möglich ist, Zeit und Raum aufzulösen, bekommt es etwas allzeit Gültiges. Damit wird – wie selbstverständlich – auch Weisheit transportiert. Ich habe soeben mein neues Buch fertiggestellt – „In 65 Märchen durch Indien“ –, wo dieser Aspekt ganz deutlich zutage tritt: Wie man mit Hilfe märchenhafter Inhalte wunderbare, vielfältige Philosophien vermitteln kann.
Brauchen Kinder Märchen?
Nein! Denn JEDER braucht Märchen! Die wichtige Aufgabe des Märchens für Kinder ist die Möglichkeit, sie damit (oder mit anderen Geschichten) zum Zuhören zu bringen. Und damit Zeit, Aufmerksamkeit und Achtung zu schenken – genau danach sehnen sich Kinder. Das Märchen ist nur ein Transportmittel dazu.
Kann man jungen Menschen heute noch dieselben Geschichten erzählen wie vor 40 Jahren? Märchen gelten heute oft als brutal und Eltern haben Angst, ihre Kinder damit zu überfordern.
Jenen Eltern, die meinen, ihre Kinder mit Märchen zu überfordern, sage ich: Hallo, habt ihre eure Fernseher entsorgt? Gibt es keine Mobiltelefone bei euch? Sperrt ihr eure Kinder in eine Almhütte? Unsere Welt ist so ungeheuerlich brutal geworden, brutal in jeglicher Hinsicht, völlig übersexualisiert, dass es geradezu lächerlich ist, heute Märchen als nicht adäquate Literatur zu sehen. Vor allem, wenn man sich von den Klischeebildern befreit: Die alten Märchen, von denen Sie hier sprechen, waren nie für Erwachsene gedacht gewesen. Sie wurden erst später von den Gebrüdern Grimm zensuriert und moralisiert und zu den „Kinder- und Hausmärchen“ umgeschrieben. Zudem können Kinder sehr gut mit diesen Inhalten umgehen, weil sie diese noch intuitiv und nicht wie Erwachsene rational einordnen.
Wie bringt man jungen Menschen die Freude am Erzählen nahe?
Haha – das kann nur ein Erwachsener fragen! Gar nicht, denn diese Jugend erzählt und schreibt soviel wie kaum eine Generation davor. Keine Liebesbriefe oder Gedichtchen, dafür wird 8 Stunden täglich im Schnitt auf unterschiedlichsten Social Media Kanälen kommuniziert. Wir sollten nicht so überheblich sein, nur unsere Form (der Erwachsenen, der Älteren) des Erzählens als die einzige wahre anzuerkennen.
Erzählen uns Politiker Märchen? Welches würden Sie der Politik empfehlen?
Diese Frage impliziert, dass Märchen mit „Lüge, kleiner Schwindel“ gleichgestellt wird – das weise ich auf das Heftigste zurück. Märchen ist genau das Gegenteil – es ist eine erweiterte Form der Wirklichkeit, der Wahrheit. Ich habe 1998 ein Buch veröffentlicht, „Politiker erzählen Märchen“, um genau diese gern verwendete Floskel ad absurdum zu führen: Damals haben 60 der prominentesten Politiker des Landes für mich ein Märchen geschrieben …
Das Buch steckt in einer Krise. Sehen Sie noch Hoffnung für die klassische Form, Sie schreiben ja selbst immer wieder neue Bücher?!
Das Buch steckt in einer Krise, weil es nicht mehr DAS Kulturgut ist, das es für viele Jahrhunderte war. Es hat seinen Nimbus als identitätsstiftendes Mäntelchen verloren. Wir erleben gerade die erste Generation, die sich unverblümt und ohne sich zu genieren zu sagen traut: Ich lese keine Bücher. Das wäre noch vor 20, 30 Jahren undenkbar gewesen. Da wäre man als ungebildet eingestuft worden. Und die Zeiten, wo man sich mit dem Kauf der „Wohnwand“ auch drei Laufmeter Bücher zur Deko mitbestellt hat, sind auch vorbei. DAS ist das Problem des Buches. Die Verkaufszahlen sind nicht so dramatisch rückläufig, wie ich es eigentlich erwartet hätte, dafür jedoch die Zahl derer, die Bücher wirklich lesen …
Das Storytelling Festival zu Gast in Stainach-Pürgg
12. Juni – Volkshaus Stainach
Matineen der Geschichten
(Schüler 6-10 Jahre und 10+ Jahre)
13. Juni – Schloss Trautenfels, 19 Uhr
Von Prinzessinnen, Kräutern & Schicksalen
Begleitet von Musik entführt Folke Tegetthoff in die entfernten Welten der Geschichten, die uns alle seit jeher verzaubern - seine Liebesmärchen und Kräutermärchen - und erzählt zudem von seinen ganz persönlichen schönsten Augenblicken.
Wir verlosen 2 x 2 Karten für die Abendveranstaltung!
14. Juni – Schloss Trautenfels, 14 Uhr
Fest der Fantasie - fabelhafter Familientag (freier Eintritt)
inkl. Kostümwettbewerb – verkleide dich als dein Lieblingsheld
Alle Infos zu den Terminen in Graz, Weiz, Bruck an der Mur, Bad Radkersburg, Stainach-Pürgg und Bad Schönau gibts auf storytellingfestival.at!