Vom Stillen Glück der Zufriedenheit am Wolfbauerhof
Manche Orte erzählen Geschichten. Sie tun es mit einem Knarren im Boden, mit dem Duft von Heu und Holz, mit dem Blick der Menschen, die hier leben. Der Wolfbauerhof ist so ein Ort. Hoch über Johnsbach im Gesäuse steht er seit Generationen. Hier mischt sich Altes mit Neuem – so wie die Enns weiter unten im Tal das Gestein des Gesäuses umspült, bleibt auch am Wolfbauerhof alles in Bewegung, und doch ewig dasselbe. Die Zukunft wird hier längst mitgedacht. Irgendwo zwischen Sense und Smartphone, zwischen Almauftrieb und moderner Forstwirtschaft liegt hier ein leises Glück, das man Zufriedenheit nennt. Sogar Kaiserin Sisi hat die Geschichte dieses Hofes einmal gestreift.
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bgelegen liegt er, der Wolfbauer. Am Fuße des Hochtors im Gesäuse führt die Straße noch ein gutes Stück höher über die Gemeinde Johnsbach, bis wir den Hof bei Anbruch der Dunkelheit erreichen. Freundlich werden wir von Andreas Paul Wolf, Barbara Hofer und dem drei Jahre alten Leonhard Paul in die gemütliche Stube geführt. Im Kamin des 5-Personen-Haushalts – zwei Generation leben unter einem Dach – flackert ein Feuer. Sein Licht lässt die vielen Bücher im hohen Regal tanzen, als wollten sie uns von vergangenen Zeiten erzählen. Der Bub ist aufgeregt über den Besuch. Paul heißt sein Holzhund, den er stolz hinter sich herzieht. Wie ein roter Faden zieht sich der Name Paul durch die Familiengeschichte. Er soll Glück und Segen für den Hof bringen. Eine alte Sage soll dahinterstehen – von Waldfrauen, Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit. Bis in das Jahr 1270 lassen sich die Spuren des Hofes zurückverfolgen. Damals noch unter dem Namen Stadlowe. 1448 taucht der Name Wolf erstmals auf, „Wolfbauer“ nennt sich der Hof seit 1663. Es lässt sich nicht ganz lückenlos rekonstruieren, aber 16 Generationen, die hier gelebt, gearbeitet, gehofft und geerntet haben, können sicher genannt werden. Da bekommt der Begriff Nachhaltigkeit eine tiefere Bedeutung, denn ohne die Umsicht der vorangegangenen Generationen wäre der Hof heute nicht der, der er ist.
Kindheit in der Stille der Berge
Die Zeit scheint hier langsamer voranzuschreiten. Noch ganz im Stil von Roseggers Waldheimat wachsen Andreas und seine zwei jüngeren Schwestern an diesem ruhigen, von gewaltiger Natur umrahmten Fleckchen Erde auf. Eine prägende Zeit, die schon die vielen Generationen vor ihnen ähnlich erlebten. Zu Fuß marschieren die Kinder vom abgelegenen Bergbauernhof in die etwas weiter unten liegende, mittlerweile aufgelassene einklassige Volksschule. Der Lehrer war zugleich Direktor. Alle vier Schulstufen vereint in einem Klassenzimmer. Die Zukunft noch ungeschrieben. „In guten Jahrgängen waren es zwölf Kinder“, erinnert sich Andreas. Der Winterweg war beschwerlich, aber das Zapfenschießen im Wald und das Burgenbauen an der Milchkannensammelstelle brachten die Leichtigkeit wohlbehüteter Kindertage. Ruhig erzählt er von damals, beinahe träumerisch. Von einer Zeit, in der jede Generation ihre eigene Handschrift hinterließ. Die Großeltern führen den Hof noch als typischen Haufenhof, mit Tieren, Getreideanbau und einem Knecht. Acht Knechte und Mägde waren es einst, die hier lebten und arbeiteten. Jedes Gebäude hatte seinen Zweck: Waschhaus, Brendlhittn, Sau-, Ross- und Schafstall, Werkstatt, Hofmühle. Die Forstwirtschaft wird vom Großvater mühsam mit Pferden betrieben. Andreas’ Vater führt den Hof in die Moderne. Er erschließt die Forstwirtschaft neu und stellt 1989 auf Bio um – als einer der ersten in der Region. Die technische Entwicklung erlebt der mittlerweile 72-Jährige vom ersten Traktor bis zur KI mit. Noch heute packen er und seine Frau kräftig mit an. „Ohne die Eltern wäre der Betrieb in dieser Form nicht möglich“, sagt Andreas dankbar. Rund 30 Mutterkühe und ein Stier grasen auf den Weideflächen. Haupteinnahmequelle ist die Forstwirtschaft. 2013 entsteht das „Kuahotel“, ein Stall, der die gesetzlichen Anforderungen weit übertrifft. „Auf unserem Biohof sehen wir die Umwelt als unsere Partnerin“, sagt Andreas. „Wir sind ein Teil von ihr.“
Ein neuer Anfang
Vor acht Jahren lernten sich Barbara und Andreas kennen, seit drei Jahren mit dabei: Sohn Leonhard.Vor acht Jahren lernen sich Barbara und Andreas über eine Onlineplattform kennen. Kein Foto, nur Worte. Er aus Johnsbach, sie aus der hügeligen Landschaft des Bezirks Weiz. Beide mit Wurzeln in der Landwirtschaft. Barbara studiert Geografie in Graz, spezialisiert sich auf nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung. Später wird sie Pastoralreferentin bei der Diözese Graz-Seckau in Admont. Ein Beruf, der Herz verlangt. Gemeinsam beginnen sie zu träumen – vom Umbau des alten Getreidespeichers, vom Haus, das einmal Gäste beherbergen soll. „Trotz der Abgeschiedenheit ist unser Hof gut erreichbar“, sagt Barbara. „Also haben wir gesagt, das probieren wir“, erzählt sie von der Zeit, als noch von einer ganz schlichten Umsetzung des Plans die Rede war. Aus der Idee wird Arbeit, aus Arbeit Leidenschaft. Allein das alte Gewölbe zu stabilisieren, kostet einen ganzen Sommer. Als Corona kommt, explodieren die Materialkosten. Trotzdem geben sie nicht auf. Gemeinsam mit dem Vater und zahlreichen anderen helfenden Händen aus der Umgebung entsteht in Eigenregie und liebevoller Handarbeit „Haus 1683“ – ein Stilmix aus modernen Elementen, gepaart mit der urigen Gemütlichkeit eines über 340 Jahre alten Holzhauses. Im Garten steht eine kleine Holzsauna, von Hand gezimmert. Luxus und Einfachheit reichen sich hier die Hand. Die ersten Gäste kommen 2024 – eine Familie aus Niederösterreich. Die Tochter hatte sich schon online in das große Panoramafenster des Badezimmers verliebt. Heute ist das Haus meist ausgebucht. Doch damit nicht genug. 2023 nehmen Barbara und Andreas am Kunstprojekt „Offene Felder“ teil. Gemeinsam mit dem Komponisten Georg Nussbaumer verwandeln sie den Kuhstall in einen Konzertsaal. In einer finsteren Gesäuse-Neumondnacht erklingen der Chor des Stiftsgymnasiums Admont sowie der Männergesangsverein Admont aus den Gebäuden, Bläser vom Waldrand, ein Klavier mitten im Stall unter den Tieren. Menschen und Kühe lauschen. „Ich habe den Kühen auch schon Metallica vorgespielt“, lacht Andreas. „Da haben sie auch nicht anders reagiert.“
Wurzeln und Wege
Den Hof zu übernehmen war für Andreas kein gerader Weg. Nach der Hauptschule in Admont zieht es ihn hinaus in die Welt. Erste Station: das Internat Raumberg-Gumpenstein, Ausbildungszweig Agrarmanagement – ein „Türöffner“, wie er sagt. Dann das Studium am Holztechnikum Kuchl, worauf er ein Praktikum in Neuseeland annimmt. „Ich wollte eigentlich nur noch zwei Jahre daheim helfen und dann wieder nach Neuseeland, weil dort ein fixes Jobangebot auf mich wartete“, blickt er heute kopfschüttelnd zurück. „Aber dann hab ich gemerkt, was für ein Schatz das hier ist.“ In der Arbeit am Hof findet er die Verbindung von Technik, Natur und Sinn. Alles, was ihn fasziniert, vereint sich plötzlich hier oben zwischen Wiese, Wald und Fels. Nun stößt auch Andreas‘ Vater zu unserem Gespräch in die Stube dazu. Er lächelt, als er die Frage hört, ob er je Angst hatte, dass der Hof nicht weitergeführt würde: „Mit Angst und Zwang erreicht man nichts“, sagt er weise. „Was soll man sich den Kopf zerbrechen. Ein gutes Vorbild wollt' ich sein. Nicht jammern, nicht raunzen bei dem, was ich tu.“ Dann zieht er die Hauschronik aus dem Regal. Das Buch riecht förmlich nach alten Geschichten. Er blättert langsam und wir lauschen den Stimmen der Vergangenheit. Vom Urururgroßvater ist die Rede, Freund des damaligen Abts Benno Kreil. Gemeinsam mit einem Jäger gelang dem Trio 1836 die Erstbesteigung des über dem Gesäuse thronenden Hochtors. Wir hören von den drei Kindern, die 1876 den Pocken erlagen. Vom Ururgroßvater, geboren 1850, der darauf einen Nervenschock erlitt und zeitlebens mit seinem Schlüsselbund in der Tasche schepperte, weil der Schreck ihn nicht losließ. Und vom Tag, an dem Kaiserin Sisi 1885 am Wolfbauerhof für Rast und Jause einkehrte, als sie mit Gefolgschaft Johnsbach zu Fuße erwanderte. Draußen steigt der Vollmond über den Hof. Silbern reflektiert sein Licht am Dach, eine Eule ruft, als wir hinaus in die kaltfeuchte Novembernacht treten. Hinter uns liegt der Hof, der seit Jahrhunderten steht – trotzig, still und zufrieden. Das Glück von Barbara und Andreas liegt in der stillen Zufriedenheit, mit der sie jeden neuen Tag beginnen. Wie die Generationen vor ihnen. Und wie jene, die nach ihnen kommen werden.

Text: Christian König / Fotos: Thomas Sattler, König, KK, privat
