Sie sind hier:Start/Am Puls der Region/„Die absolut perfekte Spielleitung gibt es nicht“

„Die absolut perfekte Spielleitung gibt es nicht“

Beim Spiel Austria Wien gegen Blau-Weiß Linz am 7. Oktober feierte mit Jakob Semler ein gebürtiger Liezener sein Debüt als Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga. Wir haben den mittlerweile in Graz wohnhaften 32-Jährigen zum Interview gebeten.

„Die absolut perfekte Spielleitung gibt es nicht“ Foto: Christoph Bauer

WOHIN: Herzliche Gratulation zum Bundesligadebüt! Als vierter Offizieller hast du zwar auch zuvor schon Bundesligaluft geschnuppert, aber ein Spiel der höchsten österreichischen Spielklasse hauptverantwortlich zu leiten ist vermutlich doch noch einmal eine ganz andere Erfahrung, oder?
Semler: Die Einsätze als vierter Offizieller haben bereits geholfen, die Vereine und die Atmosphäre einiger Stadien kennenzulernen. Die Nominierung als Spielleiter bringt jedoch natürlich eine ganz andere Verantwortung und damit auch Anspannung mit sich.

Für deine Leistung hast du durchweg positive Kritiken bekommen. Warst du mit deinem Bundesligadebüt selbst auch zufrieden?
Im Großen und Ganzen ja. Wobei, die absolut perfekte Spielleitung gibt es nicht. Wir treffen pro Spiel ca. 250 Entscheidungen, eine hundertprozentige Trefferquote ist unmöglich. Wir unterscheiden dabei übrigens zwischen akkuraten und adäquaten Entscheidungen. Empathie und Einfühlungsvermögen in das Spiel sind notwendig, um einen guten Spielrhythmus vorzugeben.

Internationale Freundschaftsspiele hast du bereits geleitet, lautet das nächste Karriereziel nun, ein internationales Bewerbsspiel zu pfeifen? Würdest du gerne zur Champions-League-Hymne auf dem Rasen stehen?
Das nächste Ziel heißt erst mal, mich in der Bundesliga zu etablieren. Man muss sich laufend bewusst machen, dass das Fußballgeschäft sehr schnelllebig ist. Gerade als Schiedsrichter entscheiden oft Bruchteile einer Sekunde. Ein Moment der Unachtsamkeit kann eine bis dahin gute Spielleitung torpedieren. Daher: Schritt für Schritt. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja, ich träume seit ich ein kleiner Junge bin davon, einmal in die wirklich großen Stadien einzulaufen.

(Foto: Christoph Bauer)(Foto: Christoph Bauer)Ursprünglich Fußballer, hast du 2012 die Schiedsrichterlaufbahn eingeschlagen. Was hat dich damals, mit Anfang 20, dazu bewogen, die Seiten zu wechseln?
Ich war zu dem Zeitpunkt mit meiner Entwicklung als aktiver Fußballer nicht zufrieden. Gleichzeitig habe ich es immer geschätzt, Schiedsrichtern auf dem Feld zu begegnen, die ich als gleichwertige Sportler betrachtet habe und bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie sich gleich akribisch wie ich vorbereiten. Dieser Anspruch verbunden mit einer klaren Perspektive waren für mich die Hauptargumente für den Griff zur Pfeife. Ich muss jedoch immer wieder schmunzelnd zurückdenken: Als Innenverteidiger habe ich einen eher intensiven Spielstil gepflegt. Daher meinte ein Teamkollege einmal nach einer Trainingseinheit, ich solle mir doch vielleicht einen anderen Sport suchen. Letztendlich habe ich die Seiten gewechselt, der Passion Fußball bin ich aber treu geblieben.

Welche Anforderungen muss man als Referee erfüllen, welche Herausforderungen bringt die Tätigkeit mit sich?
Kritikfähigkeit, klare Kommunikation sowie der Wille, laufend zu reflektieren, sind wohl Eigenschaften, die man mitbringen sollte. Des Weiteren ist die Teamfähigkeit eine Schlüsselkomponente für das Gelingen der Spielleitung. Inklusive der VARs [Anmerkung: Video Assistent Referees; Videoassistenten] umfasst ein Schiedsrichterteam mittlerweile sechs Mitglieder. Hier braucht es Vertrauen sowie nachvollziehbare Kommunikation.

Polizist, Versicherungsvertreter oder wie in deinem Fall Bankangestellter – im Gegensatz zu ihren englischen oder spanischen Kollegen gehen heimische Schiedsrichter normalen Berufen nach und pfeifen lediglich nebenberuflich. Würdest du dir in Österreich ein Profi-Schiedsrichterwesen wünschen?
Obwohl die meisten von uns nach wie vor einem Zivilberuf nachgehen, passiert bereits jetzt eine Professionalisierung im Schiedsrichterwesen in Österreich. Seit der personellen Erweiterung der ÖFB-Geschäftsstelle werden wöchentlich Szenen aufbereitet, die wir im Videostudium reflektieren. Das muss sich derzeit alles neben der Vollzeitbeschäftigung bewerkstelligen lassen. Es gilt natürlich: Je intensiver man Spiele vor- und nachbereiten kann, desto besser wird sich das Leistungslevel entwickeln. Derzeit braucht es ein sehr gutes Zeitmanagement und viel Verständnis aus dem familiären und freundschaftlichen Umfeld. Damit ein Profi-Schiedsrichterwesen funktioniert, braucht es passende Rahmenbedingungen.

Als Spieler hast du zwar einige Gelbe Karten kassiert, ausgeschlossen worden bist du jedoch nie. Als Schiedsrichter hingegen hast du bereits mehr als dreißig Mal Gelb-Rot oder Rot gezeigt. Wie streng bist du als Spielleiter?
Ich kannte als Spieler zum Glück meine Grenzen. Ich denke, Spielleitung hat nicht zwingend etwas mit Strenge zu tun. Wir Schiedsrichter verleihen lediglich dem Regelwerk Geltung. Darin gibt es weniger Spielraum als man oft glauben mag. Unterm Strich bin ich der Meinung, dass es eine Stärke eines guten Schiedsrichters ist, wenn man als berechenbar beschrieben wird. Dazu gehört eben auch die notwendige Konsequenz.

Als Schiedsrichter muss man oft auch eine dicke Haut haben. Wie gehst du mit Kritik und leider doch auch vorkommenden Anfeindungen um?
Seit ich das Prinzip des Rollenverständnisses verinnerlicht habe, kann ich mit vielem besser umgehen. Zudem hat mir in der Vergangenheit die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer geholfen. Im Grunde habe ich mir immer wieder vor Augen gehalten, dass sich Diffamierungen immer gegen die Rolle des Schiedsrichters, nie jedoch gegen mich als Person richten.

In Österreich fehlen derzeit rund 1.000 Schiedsrichter und Assistenten. Vielleicht möchtest du an dieser Stelle ja ein wenig Werbung für die Tätigkeit als Referee machen. Warum sollten junge Menschen zur Pfeife greifen?
Man lernt viel für das Leben. Neben der Entscheidungsfreude und dem Spaß an der Bewegung ist wohl die soziale Komponente maßgeblich. Unterm Strich sollte es jedoch nur ein Hauptargument geben, um zu starten, und zwar die Liebe zum Fußball.

Als Fußballer hast du für den SC Liezen die Schuhe geschnürt, dein Vater gilt bei den Grün-Weißen als Stadionsprecherlegende. Du lebst mittlerweile zwar in Graz, verfolgst du trotzdem, wie sich dein ehemaliger Verein – nach dem Landesligaabstieg letzte Saison aktuell in der Oberliga Nord – schlägt?
Natürlich, meine Wurzeln liegen beim SC Liezen. Ich habe sehr viele schöne Erinnerungen an den SC-Platz, von meinem ersten Spiel in der U8 über den Meistertitel in der Oberliga bis zu meinen ersten Landesliga-Einsätzen. Ich verfolge die Entwicklung nach wie vor und erachte das Projekt, in dem verstärkt mit jungen Spielern aus der Region gearbeitet wird, als nachhaltig. Mich freut es, dass mich aus dem Umfeld des Vereins viele Glückwünsche zum Bundesligadebüt erreicht haben. Das macht mich stolz. Ich hoffe bei Gelegenheit wieder mal ein Spiel besuchen zu können und viele bekannte Gesichter zu treffen.

LBN-WOHIN
×