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Das Gindlhörndlkreuz

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Letzten Monat haben wir Stefan Bergers Erzählung „Das Gamsjagahäusl“ veröffentlicht. An diese anknüpfend berichtet der in Wörschachwald aufgewachsene 85-jährige Liezener dieses Mal, wie es dazu gekommen ist, dass den Gipfel des Gindlhörndls heute ein Kreuz ziert. In unserer aktuellen Printausgabe haben wir eine gekürzte Fassung abgedruckt, hier die Erzählung in voller Länge.

Das Gindlhörndlkreuz Foto: Copula – stock.adobe.com

Die Geschichte vom Gindlhörndlkreuz hängt mit jener vom Gamsjagahäusl zusammen, denn ich glaube, ohne dieses würde vielleicht heute noch kein Kreuz da oben stehen oder es wäre erst viel später da oben, auf diesem zwar unscheinbaren, aber schönem Aussichtsberg ein Kreuz aufgestellt worden. Im Gamsjagahäusl haben sich zu Kriegsende vier Fahnenflüchtige, Kriegsverweigerer, versteckt. Es sind zwei Frauen und zwei Männer gewesen, alle um die 20 Jahre alt, alles aus Wien. Drei von ihnen sind so um den 8. Mai 1945, als festgestanden ist, dass der Krieg tatsächlich zu Ende ist, aufgebrochen und vermutlich Richtung Wien gezogen. Ob sie ihre Heimat oder welches Ziel auch immer sie angestrebt haben auch tatsächlich erreicht haben, hat niemand von uns je erfahren.

Nur einer ist noch länger geblieben, der Alfred. Er hat uns erzählt, dass er erfahren hat, dass seine gesamte Familie bei einem Bombenangriff in Wien ums Leben gekommen ist und dass auch das Haus, in dem er gewohnt hat, nicht mehr existiert. „Was soll ich da in Wien?“, hat er gefragt. Eines Tages hat er zu meinem Vater gesagt: „Aus Dank dafür, dass ich den Krieg überlebt und v. a., weil wir hier Unterschlupf gefunden haben und uns so viel geholfen worden ist, aber auch als Andenken, möchte ich da oben, auf dem Gindlhörndl, ein Kreuz aufstellen. Was muss ich machen, wer ist da zuständig?“ „Der Gipfel und alles rundum gehört dem Gindl“, so die Antwort. Er war so, dass für den Berggipfel keine Grundsteuer zu bezahlen war, weil dieser im Grundbuch als „unproduktiv“ eingetragen war, aber der Markus Zandl vulgo Gindl war eben doch als Besitzer eingetragen und daher zu fragen.

Ich bin mit dem Alfred mitgegangen, um den Nachbarn, den Gindl, zu fragen, ob er damit einverstanden sei, und habe ein furchtbar schlechtes Gewissen gehabt, hatten ihm die vier Fahnenflüchtigen doch, um nicht zu verhungern, ein Schaf gestohlen. Und ich war dabei gewesen! Mir ist richtig schlecht gewesen, doch ich habe mir gedacht: „Da müssen wir jetzt durch!“ Umso überraschter sind wir dann gewesen, dass der Gindl gar nicht abgeneigt gewesen ist. Ja, ich habe sogar das Gefühl gehabt, er hat sich gefreut, dass jemand auf die Idee gekommen ist. Heute glaube ich, dass diese Freude einen ganz bestimmten Grund gehabt hat. In der letzten Woche des furchtbaren Kriegs ist nämlich sein Sohn Franz als vermisst oder gefallen gemeldet worden. Und ich glaube, er hat sich gedacht, dass ein Kreuz da oben auf seinem Berg, zum Andenken an seinen Sohn, eine schöne Sache sei.

Mit der Zusage und der gleichzeitigen Erlaubnis, dass wir auch eine kleine Lärche für das Kreuz entnehmen dürfen, haben wir den Heimweg angetreten und ich war sehr erleichtert, dass er nichts vom Schaf gesagt hat, die Sache also nicht aufgeflogen ist. Schon am nächsten Tag haben wir Vorbereitungen getroffen: Das notwendige Werkzeug ist von meinem Vater ausgesucht und die Zugsäge extra gefeilt worden. Die Hacken und Stemmeisen sind ebenso scharf gemacht worden. Dann ist alles zusammengebunden und abschließend sind noch Nägel und Bohrer in den Rucksack verpackt worden. Krampen und Schaufel haben wir auch gebraucht. Alles da hinaufzutragen, das war nicht einfach. Ich bin sicher, viel habe ich damals nicht getragen, aber für meine zehn Jahre habe ich einen ganz guten Hilfsarbeiter abgegeben.

Wie die ganze Sache genau abgelaufen ist, kann ich nicht mehr so ganz genau wiedergeben. Nur Einzelheiten sind mir in Erinnerung geblieben. Das Kreuz ist schnell gezimmert gewesen, auch ein kleines Loch am Gipfel gegraben und das Kreuz aufgestellt. Aber dann haben die Probleme begonnen! Wir wussten, es musste auf jeden Fall verankert werden, sonst würde es ja der erste Sturm umwerfen. Ein Stahlseil wäre da hilfreich gewesen, das hat es damals aber nicht gegeben und wenn, dann hätten wir dazu auch Seilklemmen gebraucht und die waren überhaupt nicht zu bekommen. Also war guter Rat teuer! Ich habe zum Glück gewusst, dass es in Untergrimming ein Militärlager gibt, wo ein ganzer Haufen an Kriegsmaterial, v. a. Telefone und Kabel, herumgelegen sind. Auf meinen Rat hin sind wir also nach Untergrimming gegangen. Und tatsächlich, da haben wir eine ganze Kabeltrommel mit Telefonkabel, säuberlich aufgerollt, gefunden. Nur die ganze Trommel ist zum Tragen einfach zu schwer gewesen.

Uns ist nur eine Möglichkeit geblieben: das Kabel abrollen und in Stücke schneiden. Aber auch abschneiden war nicht so einfach. Damals hat es keine Kombizange oder dergleichen gegeben, man musste daher erfinderisch sein. Wir hatten dann die Idee, uns vom Bauern eine Axt auszuleihen und damit das Telefonkabel zu zerteilen. Wir haben ein Stück Holz untergelegt und mit gezielten Schlägen ein Stück nach dem anderen abgehackt. Vier haben wir gebraucht. Der Alfred hat drei Teile über die Schulter geladen, ich nur eins, und auch dieses ist bis ganz hinauf zum Gipfel ganz schön schwer geworden, den von Untergrimming bis auf den Gipfel sind es einige Höhenmeter und ein steiler Weg mit einer Gehzeit von zwei Stunden.

Dann haben wir mit dem Abspannen begonnen. An drei Punkten haben wir ohne größere Probleme Eisenhacken zwischen den Felsen einschlagen können, aber beim vierten Punkt, da hat es Probleme gegeben. Da ist es nicht so einfach möglich gewesen, einen Hacken anzubringen, denn die Felswand geht direkt neben dem Kreuz senkrecht in die Tiefe. Also war auch hier wieder guter Rat teuer! Etwas weiter in der Wand, die da wohl an die 100 Meter in die Tiefe geht, da ist eine kleine Kiefer gewesen, die in einer Felsspalte verwurzelt war. Da haben wir eine Möglochkeit gesehen, das Kabel anzbinden. Aber wir sollten wir da hin kommen? Wieder hat es mich getroffen. Wir haben von zuhause ein Heuseil geholt, das dann mir, dem kleinen „Stefferl“, um den Bauch gebunden worden ist, und dann hat mich der Alfred hinuntergelassen. Eine extreme Sache, wenn da etwas schiefgelaufen wäre, ich hätte den Sturz nicht überlebt!

Ich bin seither sehr oft da oben gestanden und habe einen Blick hinuntergeworfen und jedes Mal ist es mir kalt über den Rücken gelaufen. Was für ein Wagnis der gute Alfred da eingegangen ist! Damals bin ich irgendwie stolz auf mich gewesen, heute kann ich nicht mal runterschauen, ohne dass mir das Grausen kommt! Die Kiefer steht noch immer dort, sie ist nur größer geworden, aber die Verankerung ist jetzt anders gelöst. Dieses erste Kreuz hat, obwohl es nur Lärchenholz mit Rinde war, sehr lange gehalten. Das zweite ist dann vom Wirt vom Dachsteinblick aufgestellt worden. Darüber gibt es aber leider keine näheren Informationen.

Dann kam Kyrill, der schwere Sturm, der von 18. auf 19. Jänner 2007 ganze Wälder umgelegt hat und auch das Gindlhörndlkreuz erwischt hat. Gerade zu dieser Zeit war ich aus dem Krankenhaus gekommen, ich hatte eine blöde Geschichte hinter mir: Prostatakrebs war die Diagnose gewesen. Weil alles noch früh genug operiert worden war, Gott sei Dank mit gutem Ausgang. Ich war also schon wieder daheim, als der Obmann des Alpenvereins zu mir gekommen ist und mich gefragt hat, ob ich das kaputte Kreuz ersetzen könnte. Meine Antwort war ein klares Ja! „Ich mache es, für den Alpenverein und alle Bergfreunde und zum Dank dafür, dass ich davongekommen bin!“

Der Franz Schachner vulgo Pöreiter hat mir das Lärchenholz geschenkt und ein Lärchenbrett dazu. Da habe ich den Text „Herrgott, die Welt ist schön!“ hineingeschnitzt. Die Mitglieder vom Alpenverein Stainach mit dem Obmann Karl Kronsteiner, der leider nicht mehr unter uns ist, haben das Kreuz auf den Gipfel getragen und fachgerecht aufgestellt. Ich bin stolz darauf, dass ich auch das zweite Mal zum „Hörndlkreuz“ etwas beitragen konnte und es wird hoffentlich nach mir wieder jemanden geben, der es, wenn nötig, wieder errichtet. Und vielleicht denkt dann noch jemand an die Entstehungsgeschichte. Damit es nicht so leicht vergessen wird habe ich, der Stefan Berger, in Wörschachwald immer noch der „Ebner Steff“, es niedergeschrieben, denn solche Sachen sollten nicht vergessen werden.

LBN-WOHIN
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