Wenn am Loser die Funken sprühen
- Autor/in: Christian König
Scarlett Fehnl schraubt nicht an Rollenbildern – sie baut sie um. Dass die gelernte Industriemechanikerin heute als Schlosserin bei den Loser Bergbahnen in einer absoluten Männerdomäne arbeitet, hat der begeisterten Motorradfahrerin auf ihrem ungewöhnlichen Weg einiges an Mut, Humor und Durchhaltevermögen abverlangt.
Scarlett Fehnl ist gelernte Industriemechanikerin und heute als Schlosserin im Einsatz.Wer sagt, dass Technik keine Frauensache ist, hat Scarlett Fehnl noch nie beim Schweißen oder beim Hantieren auf einer Liftstütze gesehen. An einem bewölkten Oktobermorgen treffen wir sie zum Interview. Bei unserer Ankunft verbindet sie gerade mit Kollegen die Enden eines Stahlseils für den Schlepplift. Der Schmäh rennt, die Chemie stimmt. Scarletts blondes, zum Zopf gebundenes Haar wippt auf ihrem Hinterkopf, während sie mit sicherem Griff die Flex ansetzt. Sie ist mitten im Geschehen – konzentriert, selbstbewusst, ganz in ihrem Element.
Weiblich, präzise, unaufhaltsam
Die Schlosserin von Loser lässt die Funken sprühen.Scarlett wächst in Deutschland, in der Nähe von Köln, auf. Ihre Mutter sieht für sie einen klassischen Frauenberuf vor. Den Lehrvertrag als Vermessungstechnikerin unterschreibt sie der damals 15-jährigen Tochter daher nicht. Nicht ohne Folgen: Scarlett zieht noch im selben Jahr von zu Hause aus. Die Lehre als Arzthelferin und den Kontakt zu ihrer Mutter bricht sie, sobald selbst zeichnungsberechtigt, ab. „Manchmal muss man die Glühbirne eben selbst wechseln, um Licht ins System zu bringen,“ sagt sie mit schelmischem Augenzwinkern über ihren boykottierten Start ins Berufsleben. Endlich volljährig, arbeitet sie ein halbes Jahr als Hilfsarbeiterin bevor sie 50 Kilometer östlich von Köln eine Lehrstelle als Industriemechanikerin findet. Dort legt sie einen der besten Lehrabschlüsse hin. Danach gönnt sie sich Freiheit auf zwei Rädern. Ihre Suzuki GSX-R 750 baut sie sich selbst zu einer Streetfighter um – kürzerer Auspuff, mehr Sound, mehr sie. Ein Jahr lang fährt sie damit durch Deutschland, spürt Wind, Benzin und Selbstbestimmung.
Verantwortung, Team, Erfolg
Zwei Jahre lang arbeitet Scarlett bei einem Unternehmen der Würth-Gruppe, und ist dort für Instandhaltung und Sanierung von Fördertechnik zuständig. Ihre Präzision und Leidenschaft bleiben nicht unbemerkt: Ein Welser Logistikunternehmen wird auf sie aufmerksam und holt sie 2012 ins Team. Warum? „Weil ich ziemlich gut bin, in dem, was ich mache“, sagt sie mit selbstbewusstem Lächeln. Dass Scarlett nicht gerne auf derselben Stelle tritt, erkennt auch ihre Führungskraft. Als sie um mehr Verantwortung bittet, bekommt sie sie – inklusive Teamleitung und Umzug nach Wels. Drei Monate später führt Scarlett als Field Service Engineer ihr eigenes Team.
Babypause, Pech, Neustart
Mittendrin statt nur dabei: Scarlett, die einzige Frau im Technikteam der Loser Bergbahnen.2018 kommt ihre Tochter zur Welt. Zwei Jahre bleibt Scarlett zu Hause, eine Zeit, die sie genießt – und die ihr zugleich zeigt, wie schwer Vereinbarkeit oft ist. Durch Zufall verschlägt es sie danach nach Bad Ischl, wo sie wieder in einer Schlosserei arbeitet. Ein Arbeitsunfall durchkreuzt den Plan, den Meisterabschluss zu machen. Also wechselt sie in den Vertrieb von Werkzeug im Salzkammergut. In dieser Zeit führt sie ihr Weg auch immer wieder zu den Loser Bergbahnen – und dort fällt sie Betriebsleiter Martin Herbst auf. Er erkennt ihr Talent und ihre Energie. Wenig später steht Scarlett in Arbeitskleidung zwischen Liftstützen und Schweißgerät. Seitdem ist sie „für so ziemlich jede Schweißarbeit – und für lockere Sprüche“ zuständig, wie sie selbstironisch sagt. Die Arbeit auf dem Berg ist vielseitig, manchmal anstrengend, oft wunderschön. Scarlett ist die einzige Frau im technischen Bereich. Doch von Konkurrenz oder Vorurteilen keine Spur. „Wir helfen uns gegenseitig, lachen viel – es fühlt sich an wie ein kleiner Familienbetrieb“, sagt sie.
Arbeiten, leben, allein erziehen
Seit Mai 2024 ist Scarlett alleinerziehend. Sie liebt ihren Job – aber sie weiß auch, dass ihr Alltag ein ständiger Balanceakt ist. Die Loser Bergbahnen unterstützen sie, wo sie können: Scarlett wird demnächst die Ausbildung zur Betriebsleiterin finanziert und sie konnte auf 30 Stunden reduzieren, ohne Wochenenddienste. „Mehr Betreuungsmöglichkeiten würden die Sache erheblich erleichtern“, sagt sie. „Wenn du allein bist, musst du alles managen.“ Ihre Tochter ist, wenn alles gut geht, jedes zweite Wochenende beim Papa. Den Rest der Zeit jongliert sie zwischen Arbeit, Kind und Haushalt. Sie spricht offen über die finanzielle Unsicherheit, über die Sorge, dass ihr Betreuungszeiten einmal in der Pension fehlen werden. „Manchmal frage ich mich, ob ich rückblickend wieder ein Kind bekommen würde“, sagt sie leise. Nicht aus Reue, sondern aus Ehrlichkeit.
Stärke, Liebe, Funkenflug
Trotz allem ist Scarlett ein Vorbild für ihre Tochter – und für viele andere. „Ich sage ihr immer, dass sie alles werden darf“, erzählt sie. „Ganz egal, ob Balletttänzerin oder Astronautin – Hauptsache, sie steht zu sich selbst.“ Was sie ihrer Tochter mitgeben will? Dass man Entscheidungen treffen muss – und mit den Konsequenzen leben kann. Dass Stärke nichts mit Lautstärke zu tun hat. Und dass es nie schlimm ist, zu zeigen, dass man jemanden liebt. Wenn am Loser also wieder Funken sprühen, dann nicht nur, weil Scarlett gerade schweißt. Sondern weil da oben auf dem Berg eine Frau steht, die sich ihr Leben selbst schmiedet. ◻
