Wenn das Leben Chancen bietet – Eine Kolumne des Psychosozialen Netzwerks Liezen
- Autor/in: Liezener Bezirksnachrichten GmbH
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Es ist 8:30 Uhr morgens, Herr M. startet in seinen Arbeitstag. Der Kaffee in seiner Hand dampft noch leicht, während er durch die Glastür der psychosozialen Beratungsstelle tritt.
Vor fünf Jahren hätte er sich selbst nicht in dieser Rolle gesehen. Damals hatte er noch als Tischler gearbeitet, aber spürte immer mehr, dass es ihn zur Arbeit mit Menschen zog. Der Wendepunkt kam, als ein enger Freund nach einem psychischen Zusammenbruch in einer Klinik landete. Herr M. begleitete ihn durch diese schwere Zeit und erkannte, wie wenig die Gesellschaft über psychische Erkrankungen spricht – und wie viel Unterstützung gebraucht wird.
Das war der Moment, in dem er sich entschloss, etwas zu verändern – in sich und für andere. Er begann berufsbegleitend das Studium der Sozialen Arbeit. Praktika in Psychiatrien und Wohngruppen festigten seinen Entschluss. Er wollte genau hierhin: in den psychosozialen Bereich!
Heute betreut Herr M. aufsuchend und niederschwellig psychisch belastete sowie suchtkranke Erwachsene – von Depressionen über Schizophrenie bis hin zu Borderline-Störungen oder Alkoholabhängigkeit. Jeder Tag bringt neue Dynamiken. Heute steht ein Gespräch mit einer Klientin an, die unter Angststörungen leidet und zuletzt häufiger Termine abgesagt hat. „Verlässlichkeit ist kein Zwang, sondern ein Anker“, sagt Herr M. oft – geduldig, aber klar. Als Herausforderung erlebt er das Stigma in der Gesellschaft: „Psychische Erkrankungen werden noch immer als Schwäche gesehen, nicht als Teil der Realität vieler Menschen.“
Aber dann gibt es diese Momente – wenn jemand nach Wochen zum ersten Mal wieder lacht. Wenn eine Klientin sich traut, den Supermarkt allein zu besuchen. Wenn ein junger Mann seinen Therapieplatz annimmt, statt ihn wie so oft zuvor abzulehnen. „Das sind kleine Siege, aber sie fühlen sich groß an“, sagt Herr M. mit einem Lächeln.
Es ist jetzt 9 Uhr. Herr M. stellt den Kaffee beiseite, schnappt sich seine Autoschlüssel und düst los. Der Tag hat begonnen – und mit ihm wieder eine neue Chance, einen Unterschied zu machen. ◻
(Handlung und Namen sind erfunden)
NACHGEFRAGT
1) Arbeiten im psychosozialen Bereich – was kann ich mirdarunter vorstellen?
Unsere Arbeit umfasst einerseits die Unterstützung von Menschen in Krisensituationen oder bei psychischen Belastungen – sei es durch Gespräche, Gruppenangebote, Begleitung zu div. Netzwerkangeboten und Vernetzung unter allen beteiligten Fachkräften. Gleichzeitig versuchen wir auch präventiv Angebote im Bereich der Förderung seelischer Gesundheit zu setzen. Außerdem setzen wir uns durch Öffentlichkeitsarbeit für Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ein.
2) Wie sieht eine typische Arbeitswoche bei Ihnen aus?
Unsere Tätigkeiten sind so flexibel, wie unser Angebot umfangreich. Grundsätzlich besteht eine Arbeitswoche aus Einzel- oder Gruppengesprächen, Vernetzungen, ggf. Abdeckung der telefonischen Erreichbarkeit, bei mobilen Angeboten auch aus Hausbesuchen oder der Präsenz an öffentlichen Orten. Um fachlich up-to-date zu bleiben, gibt es auch regelmäßig Fortbildungsangebote.
3) Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit besonders?
* Die Möglichkeit, sich bei komplexen Fragen im Team auszutauschen und voneinander zu lernen * interne Fort-/und Weiterbildungsmöglichkeiten * die Chance zur beruflichen Weiterentwicklung (z.B. Übernahme Leitungsfunktionen)
* das positive Arbeitsklima * die Qualität der angebotenen Leistungen * Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung
3) Wo sehen Sie aktuell die größten gesellschaftlichen Probleme im psychosozialen Bereich?
Eine große Herausforderung sehe ich in der Erreichbarkeit der Angebote. Gerade im Bezirk Liezen sind die Anfahrtswege trotz unserer Außenstellen in manchen Bereichen für Personen ein Hemmnis zur Inanspruchnahme notwendiger Unterstützung. Dazu kommt, dass psychische Belastungen und Erkrankungen nach wie vor leider nicht denselben Stellenwert wie körperliche Beschwerden haben und Leute aufgrund von Scham oft sehr spät Hilfe in Anspruch nehmen.
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