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Ihre Stärke: So richtig Fahrt aufnehmen

Es ist 13.33 als der Zug am Bahnsteig 1 in Selzthal einfährt. In der Frontscheibe des Führerstandes spiegelt sich der westliche Teil des 152 Jahre alten Bahnhofs. Zwischen den Spiegelungen lässt sich eine weibliche Person erkennen, deren fröhlicher Gesichtsausdruck dazu einlädt, gespannt zu sein. Gespannt auf die Frau, die wenige Augenblicke später aus der Lok klettert.

Ihre Stärke: So richtig Fahrt aufnehmen Foto: Petra Schuster

Die 33-jährige Lokführerin aus Aigen im Ennstal fühlt sich in ihrem Beruf und bei ihrem Arbeitgeber wohl. Die Entscheidung für eine vollkommen neue  Ausbildung hat sie nicht bereut.Die 33-jährige Lokführerin aus Aigen im Ennstal fühlt sich in ihrem Beruf und bei ihrem Arbeitgeber wohl. Die Entscheidung für eine vollkommen neue Ausbildung hat sie nicht bereut.Carina Dilena aus Aigen im Ennstal ist Lokführerin bei den Österreichischen Bundesbahnen. Für uns hat sie am Dienstag ihre Pause gekürzt, um aus dem Nähkästchen zu plaudern und einen Einblick in ihr Aufgabengebiet zu gewähren. Im sogenannten „Heizhaus“ in Selzthal, das als Zentrale und Aufenthaltsraum für die Angestellten des Stützpunktes dient, gönnen wir uns einen Kaffee und erhalten einen Überblick über Carinas Arbeitsalltag. Auf die Frage, wie sie sie denn dazu gekommen sei, einen so männerdominierten Beruf auszuwählen, antwortet sie: „Die Fabrik, in der ich angestellt war, musste leider zusperren. Ich musste komplett ‚frisch‘ überlegen, was ich tun wollte. Mit einer Bekannten, einer Physiotherapeutin, bin ich damals ins Gespräch gekommen. Ihr Partner war Lokführer. Sie meinte, ich könnte mich doch als Lokführerin bewerben, denn die ÖBB sucht Personal. Die Idee hat mich angesprochen, also habe ich mich beworben und siehe da, so schnell konnte ich gar nicht schauen, habe ich auch schon mit der Schule in St. Pölten begonnen.“

Die Ausbildung zur Lokführerin dauert circa ein Jahr. Praktische und theoretische Einheiten finden abwechselnd statt. Carina hat den Einstieg in das neue Berufsfeld von vornherein sehr praxisorientiert gestaltet. Ihre ersten Fahrten hat sie im Zuge der Ausbildung sehr zeitnah absolviert. Ihre allererste Fahrt machte die selbstbewusste Frau aus Aigen mit einem Güterzug. „Ich kam nach Selzthal zum Stützpunkt, habe mich vorgestellt und wurde hier gleich sehr liebevoll aufgenommen. Da ist ein starker Zusammenhalt, eine starke Gemeinschaft bei der ‚Eisenbahn‘, das war von Beginn an spürbar und machte es mir leicht. Nach einem gemeinsamen Kaffee gingen wir auch schon Richtung Zug“, erzählt Carina und dabei huscht ihr ein nahezu süffisantes Lächeln über die Lippen. „Im nächsten Moment sind wir schon in die Lok gestiegen, ich habe mich hingesetzt und mein Ausbildner hat begonnen, mir alles zu zeigen und zu erklären und schon ging es los.“

Jeder Tag ein Abenteuer

Eintönigkeit ist für die 33-Jährige ein Fremdwort. Auch wenn Carina ähnliche Schichten fährt, bzw. sich Tage wiederholen, die Vielfältigkeit eines jeden Tages ist immer gewährleistet. „Es gibt viele Faktoren, die zusammenkommen und die dafür sorgen, dass kein Tag wie der andere ist. Das beginnt bei den ständig wechselnden Zuggästen und endet beim Wetter. Zum Beispiel ist das Fahren bei Schnee optisch wirklich besonders. Das mag ich sehr, wenn die Landschaft so schön verschneit ist, aber es ist natürlich auch dementsprechend schlüpfriger auf den Schienen und man muss noch etwas vorausschauender und achtsamer fahren als ohnehin schon“, lässt uns die „Eisenbahnerin“ an ihren Erfahrungen teilhaben. Zug-Präferenzen hat Carina keine. „Die Mischung macht´s aus. Bei Güterzügen zum Beispiel transportiert man wesentlich mehr Gewicht, eventuell sogar Gefahrengut. Da muss man schon wissen, wie im Notfall zu reagieren ist, die Checkliste studieren und gegebenenfalls in der Lage sein, die Punkte umsetzen zu können. Es gehören eine gewisse Ruhe und ein guter Überblick dazu.“

Weit weg vom Ruhepuls

Die ersten Schichten, in denen Carina Dilena die Fahrten alleine gemeistert hatte, blieben der Ennstalerin in Erinnerung. „Wenn man so alleine dann in der Lok sitzt und einem klar wird, dass man die Verantwortung für diese Maschine und die Menschen darin jetzt ganz alleine trägt, dann kann es durchaus vorkommen, dass man bei kleineren Störungen, die mit der Zeit einfach ganz normal werden, schon recht nervös wird. Im Umkehrschluss kann ich jetzt sagen, dass ich anfangs das Gefühl hatte, schon immens viel
‚Herausforderndes‘ erlebt zu haben, weil ich eben so nervös war und dadurch etwas fehleranfälliger. Zum Beispiel war da eine Situation gleich am Anfang: An gewissen Stellen wird die Oberleitung des Schienennetzes geteilt, da das Stromnetz von mehreren ‚Unterwerken‘ gespeist wird. Durch den Zwischenraum, der da entsteht, muss man stromlos mit etwas mehr Schwung durchfahren. Bei meiner zweiten Schicht gab es die Situation, dass ich Respekt vorm rechtzeitigen Einbremsen vor dem Signal hatte (lacht). Leider (lächelt wieder) habe ich so stark gebremst, dass ich genau in diesem Bereich zu stehen kam und Kollegen mir helfen mussten, mich von dort wieder wegzubewegen.“

Gelassenheit und eine ruhige und besonnene Herangehensweise sind aus Sicht der Lokführerin zwei Eigenschaften, die sich mit den beruflichen Herausforderungen ausgesprochen gut vertragen. Unvorhergesehene Situationen kann es jederzeit geben. Abgehende Muren, Autos, die bei Bahnkreuzungen auf den Gleisen zu stehen kommen und leider auch Suizide sind nur einige der Situationen, mit denen man beim „Führen“ eines Zuges konfrontiert sein kann. Bis jetzt blieb Carina von derartigen, extremen Umständen jedoch weitgehend verschont.

Vom Unter-, Über- und richtigen Einschätzen

dilena oebb 3Am Stützpunkt in Selzthal sind 105 Lokführer und 3 Lokführerinnen beschäftigt. Warum das für so wenige Frauen in Frage kommt, ist ihr unverständlich. „Ich fühle mich sehr sehr wohl mit dieser Entscheidung. Die ÖBB ist ein sehr guter Arbeitgeber! Die Kollegialität ausgesprochen gut! Also mir fehlt nichts! Was ich im Nachhinein betrachtet schon noch sagen kann, ist, dass die Ausbildung mich extrem gefordert hat. Ich habe wirklich pausenlos gelernt. Die Lernziele wurden in wöchentlichen Überprüfungen kontrolliert und somit hat man auch selbst einen guten Überblick, ob man den Inhalten gewachsen ist. Es ist schon viel. Es ist auch dahingehend vielleicht nicht für jeden was, weil man auch seine Freizeit den Diensten entsprechend gestalten muss. Damit meine ich, dass es halt nicht möglich ist, abends ausgelassen feiern zu gehen, wenn am nächsten Tag ein Dienst ansteht. Aber mich stört das nicht. Ich brauche das nicht unbedingt. Es ist ein Job mit viel Verantwortung, aber es zahlt sich echt aus und ich möchte wirklich mit niemandem tauschen“, ergänzt sie.

Nicht immer einzuschätzen sind die Handlungen der Fahrgäste. Umsichtigkeit, Vorausschauen und schnelle Reaktionsfähigkeit sind gefragt: „Es passiert leider immer wieder, dass die Fahrgäste beim Warten am Bahnhof die Linien am Bahnsteig übertreten. Die sind ja nicht umsonst dort. Wenn ein Zug durch den Bahnhof durchfährt, entstehen Winde und auch eine Art Sog. Man unterschätzt das. Es ist gefährlich, die Markierungen nicht zu beachten und auch für uns Lokführerinnen sehr unangenehm, wenn man merkt, der Gast ist nicht aufmerksam. Dazu gehört zum Beispiel auch das Gehen mit Blick aufs Handy in unmittelbarer Bahn-steignähe oder auch, dass die Leute öfters Kopfhörer oder Earplugs tragen und die Sicherheitsanweisungen und wichtige Informationen dadurch nicht hören. Also es wäre da wünschenswert und für uns Verantwortliche sehr hilfreich, wenn die Fahrgäste mit den Sicherheitsvorschriften aufmerksamer umgehen würden. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass Carina sich schleunigst auf den Weg machen muss. Sie steht energisch auf und macht sich auf den Weg zum Bahngleis 1, wo sie den EC 217 nach Graz übernimmt. In ihrer charmanten und geradlinigen Art öffnet sie noch einmal das Fenster des Führerhauses und verabschiedet sich mit einem souveränen Lächeln, während sie den Zug in Bewegung setzt.

Text und Fotos: Petra Schuster

 

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